1990
Die Aufbruchstimmung im Herbst 1989 führt im November 1990 zur Gründung des Landesverbandes Berlin der SelbstHILFEgruppen Alleinerziehender (SHIA e.V.), später umbenannt in SelbstHilfeInitiative. Wir verabschieden eine Satzung, die dem spezifischen Selbstverständnis der in der DDR bzw. in Berlin/Ost aufgewachsenen Alleinerziehenden entspricht. Dieses Selbstverständnis äußert sich beispielsweise in der Berufstätigkeit von Müttern als selbstverständlichem Bestandteil ihres Lebenskonzepts. Angesichts sozialer Umbrüche und verschiedener Übergangsregelungen stehen Einelternfamilien während der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten vor besonderen Problemen.
Zunächst sind wir ausschließlich ehrenamtlich politisch aktiv. Aus einem acht Quadratmeter großen Raum heraus koordinieren wir die nach Stadtbezirken organisierten Selbsthilfegruppen. Ende 1990 besetzen wir mit unseren Kindern die Gewerberaumvergabe im Prenzlauer Berg, um damit der bereits zugesicherten Nutzung größerer und angemessener Räumlichkeiten Nachdruck zu verleihen.
1991
Die ersten ABM-Stellen (so genannte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, finanziert über das Arbeitsamt) werden bewilligt. Unsere Aktivitäten werden vielfältiger – Gruppenangebote, Wochenendreise mit Seminar, Kinderfest – und wir geben ein Infoheft heraus. Eine Anschubfinanzierung des Familienministeriums der ehemaligen DDR ermöglicht Um- und Ausbauarbeiten in der Rudolf-Schwarz-Str. 29, in die wir umziehen. Dort haben wir eine neue Geschäftsstelle mit zwei Büros, einem Gruppenraum, einem Kinderzimmer und einer Teeküche.
1992
Wir engagieren uns politisch für den Erhalt der Kita- und Hortplätze und die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.
1993
Die Arbeit am Projekt „Ferien- und Freizeitdienst“ beginnt, finanziert durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport. Es wird später Projekt „Familienbildung“ heißen und läuft bis heute. Zwei weitere, jeweils zeitlich befristete Projekte, finanziert vom Arbeitsamt, starten: „Sozialberatung für Alleinerziehende“ sowie „Flexible und bedarfsgerechte Kinderbetreuung außerhalb der Öffnungszeiten von Kita und Hort“ im Bezirk Pankow.
1994
Wir engagieren uns in den Bereichen Unterhaltssicherung für Kinder und flexible / bedarfsgerechte Kinderbetreuung. Unsere Forderungen sind: gleiche Regelsätze für alte und neue Bundesländer, Anpassung der Regelsätze an den Bedarf des Kindes, einen Selbstbehalt auch für die Sorgeberechtigten, Ausweitung des Unterhaltsvorschusses bis zum 18. Lebensjahr des Kindes und keine Verrechnung des Kindergeldes mit der Unterhaltsforderung.
1995
Wir initiieren die Gründung des „Netzwerk Berliner Kinderbetreuungsprojekte“. In ihm schließen sich freie Träger zusammen mit dem Ziel, eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung über die regulären Öffnungszeiten von Kitas hinaus im Kitagesetz festzuschreiben, politischen Entscheidungsträgern den enormen Bedarf deutlich zu machen und die Finanzierung für die bestehenden Kinderbetreuungsprojekte zu sichern. Kinderbetreuungsprojekte in den Bezirken Lichtenberg, Mitte und Friedrichshain gehen an den Start. Wir nehmen am bundesweiten Aktionsbündnis gegen das gemeinsame Sorgerecht als Regelfall als Kritik an der bevorstehenden Reform des Kindschaftsrechts teil. Unsere Position: Gemeinsames Sorgerecht? – Ja auf Wunsch beider Eltern, nicht als Regelfall!
1996
Ferienlager für Kinder werden fester Bestandteil unseres Angebots bis 2007. SHIA wird Anlaufstelle für Anträge an die „Stiftung Hilfe für die Familie“ des Landes Berlin.
1997
SHIA gibt die Erstellung der Studie „Leben auf der Überholspur – Einelternfamilien im gesellschaftlichen Zeitstrukturwandel“ in Auftrag. Wir veröffentlichen einen Musterbrief für den Einspruch gegen die neue Festsetzung der Höhe des Kindergeldes bei den Familienkassen, weil dabei von einem zu geringen Existenzminimum von Kindern ausgegangen wird.
1998
SHIA erhält den Projektpreis für Familienarbeit der Jugend- und Familienstiftung Berlin für die innovative Art der ergänzenden Kinderbetreuung. Wir veranstalten ein Forum zum neuen Kindschaftsrecht.
1999
Das zweijährige Modellprojekt „Umwelterziehung in der Familie durch flexible Kinderbetreuungsangebote“ unter Beteiligung der Europäischen Union im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Urban startet. Wir mieten ein zweites Objekt (Rudolf-Schwarz-Str. 31) als Sitz der Kinderbetreuungsprojekte und als Kontaktstelle an. SHIA beteiligt sich an der bundesweiten Kampagne der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen gegen die Anrechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe. Auf Bundesebene nehmen wir an der Gesprächsrunde der Arbeitsgemeinschaft Interessenvertretung Alleinerziehender mit der Bundesfamilienministerin Frau Dr. Bergmann teil. Die SHIA-Sozialberatung ist gefährdet, da keine Weiterfinanzierung über ABM möglich ist. Letztlich erkämpfen wir eine Finanzierung über das Bezirksamt Pankow.
2000
Die Senatsverwaltung plant die komplette Streichung der Mittel für Familienbildung. SHIA steht vor dem Aus! Dies kann durch ein breites Bündnis freier Träger verhindert werden. Wir nehmen die Arbeit am zeitlich befristeten Projekt „Integration ausländischer Frauen durch flexible Kinderbetreuung“ im Bezirk Neukölln auf und zeigen die Fotoausstellung „Warum ist der Himmel blau? – Tipps für eine umweltgerechtere Lebensweise in der Großstadt“. An der berlinweiten Kampagne „Euch-gehts-wohl-zu-gut“ gegen das Haushaltssanierungsgesetz beteiligen wir uns. Dieses sieht vor, innerhalb von 3 Jahren 15% der Zuwendungen für freie Träger in Berlin einzusparen. Wir feiern das 10jährige Bestehen von SHIA.
2001
Wir nehmen an der Diskussion über die Studie „Worin unterscheidet sich die Lebenssituation Alleinerziehender von der Lebenssituation der Elternfamilie?“ des Staatsinstituts für Familienforschung / Uni Bamberg teil.
2002
Wir unterstützen die Postkartenaktion vom VAMV (Verband alleinerziehender Mütter und Väter) gegen den Wegfall der Steuerklasse II für Alleinerziehende. Im Rahmen des Berlin-Brandenburgischen Bündnisses Kindschaftsrecht beteiligen wir uns an der Organisation der Fachveranstaltung „Alleinige Sorge – ein Auslaufmodell? Bilanz nach vier Jahren Kindschaftsrecht“.
2003
Nach 10 Jahren unserer Kinderbetreuungsprojekte ziehen wir Bilanz: Betreuung von 750 Kindern in über 700 Familien und Schaffung von 220 (befristeten) Arbeitsplätzen.
Das Bundesverfassungsgericht stellt klar: Ein gemeinsames Sorgerecht für den Vater im Fall nicht miteinander verheirateter Eltern ist nur mit Einwilligung der Mutter möglich.
2004
Gemeinsam mit anderen Alleinerziehenden-Verbänden treffen wir uns mit der Bundesfamilienministerin Renate Schmidt.
Im Steuerrecht gibt es Änderungen: Die Steuerklasse II für Alleinerziehende bleibt erhalten, jedoch in rudimentärer Form. Alleinerziehende mit volljährigen Kindern können rückwirkend auch die Steuerklasse II erhalten.
2005
SHIA feiert den 15. Geburtstag mit Alleinerziehenden, Mitgliedern, UnterstützerInnen und politisch Verantwortlichen.
Das Bundesverfassungsgericht beschließt: Alleinerziehende erhalten für die Jahre 1997 bis 1999 400 Millionen Euro Steuern zurück, wenn sie Kinderbetreuungskosten geltend machen.
Eine neue Berechnungsgrundlage für den Kindesunterhalt tritt in Kraft. Die unterschiedlichen Selbstbehalte für Unterhaltsverpflichtete nach Ost und West werden abgeschafft und auf Westniveau angehoben. Demgegenüber haben unterhaltsberechtigte Kinder auch 15 Jahre nach der Vereinigung von DDR und BRD unterschiedliche Unterhaltsansprüche, d.h. Kinder im Ostteil Berlins haben einen niedrigeren „Regelbetrag“ und auch der Unterhaltsvorschuss ist geringer.
2006
Unsere neue Homepage www.shia-berlin.de geht online.
2007
Wir geben die Broschüre „Kinder vor der Kiste – Ratgeber für Eltern zu Kindern und Fernsehen“ in den Druck. Wegen fehlender Weiterfinanzierung laufen die ersten unserer Kinderbetreuungsprojekte in Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg ersatzlos aus.
Das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit tritt in Kraft. Alleinerziehende können 14 Monate Elterngeld beziehen. Beim Kindergeld gibt es eine Neuregelung. Berechtigt sind in der Regel nur noch Kinder bis zum 25. Lebensjahr anstatt wie vorher bis zum 27.
2008
Das Gebäude, in dem unsere Geschäftsstelle und unsere Kontaktstelle ihren Sitz haben, wird bei laufendem Betrieb saniert. Wir organisieren ein Fachgespräch „Flexible Kinderbetreuung in Berlin“ mit VertreterInnen von Jobcentern und Bezirksämtern: Fazit: Der Bedarf wird nun allgemein anerkannt und einige Bezirke signalisieren eine Prüfung der Unterstützung über den 2. Arbeitsmarkt, andere dagegen stehen dem skeptisch gegenüber.
Das Unterhaltsrecht wird neu geregelt. Endlich erfolgt die Aufhebung der Benachteiligung von Kindern in den neuen Bundesländern und im Ostteil Berlin hinsichtlich des Unterhaltsbedarfs und der Höhe des Unterhaltsvorschusses. Änderungen gibt es auch bei der Rangfolge der Unterhaltsberechtigten (das Kind steht nun an 1. Stelle vor den Ansprüchen des Ex-Partner / der Ex-Partnerin).
2009
Das zweijährige Projekt „Entlastung von Eltern chronisch kranker und behinderter Kinder“ startet. Wir lassen die Broschüre „Appetit auf Gesundes? Ratgeber für Eltern zur gesunden Ernährung von Kindern“ drucken. An der Tagung „Alleinerziehen im 21. Jahrhundert“ des Schweizer Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter nehmen wir teil.
Das Kindergeld wird erhöht. Kinder Alleinerziehender haben jedoch nichts oder fast nichts davon, da es hälftig auf den Unterhalt des Unterhaltspflichtigen und vollständig auf den Unterhaltsvorschuss und das Arbeitslosengeld II angerechnet wird. Der SHIA-Bundesverband stellt Musterbriefe an das Bundesfamilienministerium zur Verfügung, um gegen diesen Missstand zu protestieren.
2010
Wir richten die „Strukturstelle für berlinweite flexible und ergänzende Kinderbetreuung“ ein, gefördert durch die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen. Das 20jährige Bestehen von SHIA ist Anlass zum Feiern.
2011
Zusammen mit anderen Verbänden fordern wir das Justizministerium auf, im Gesetzesentwurf zur Neuregelung der elterlichen Sorge für nicht miteinander verheiratete Eltern das Antragsmodell festzuschreiben – d.h. zunächst das alleinige Sorgerecht der Mutter, wenn keine übereinstimmende Sorgeerklärung der Eltern vorliegt. Wir unterstützen die Kampagne „7% für Kinder“: Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Produkte und Dienstleistungen für Kinder.
Die Herausgabe eines zweimonatlichen SHIA-Newsletters beginnt.
2012
Unser letztes Kinderbetreuungsprojekt läuft wegen Einstellung der Fördermittel durch das Jobcenter aus. Von 1993 bis 2012 betreute SHIA etwa 1700 Kinder in 1500 Familien in mehreren Berliner Bezirken. Der SHIA-Bundesverband initiiert die Kampagne „Kleine Familienkarte – große Wirkung!“. Es soll Ermäßigungen bei Eintritten nicht nur für zwei Erwachsene mit Kindern, sondern auch für Einelternfamilien geben. Wir nehmen an der Demo „Sparen am Sozialen? NIX DA“ auf dem Alexanderplatz teil.
2013
Wegen fehlender finanzieller Mittel müssen wir eines unser zwei Mietobjekte kündigen und rücken in dem verbleibenden Objekt auf nunmehr der Hälfte der Fläche zusammen. Die Kampagne „UmSTEUERn – keine Familie II: Klasse! Steuergerechtigkeit für Alleinerziehende“ des VAMV-Bundesverbandes unterstützen wir.
Das Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern tritt in Kraft. Das Familiengericht kann damit auf Antrag des Vaters auch gegen den Willen der allein sorgeberechtigten Mutter die gemeinsame elterliche Sorge anordnen. In Berlin gibt es nun einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem vollendeten 1. Lebensjahr des Kindes.
2014
Nach zweijähriger Pause startet ein neues Kinderbetreuungsprojekt, finanziert aus Mitteln der BGAG-Stiftung Walter Hesselbach.